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Kann der Nutzniesser den Hausverkauf verhindern?

Mein Vater hat meinem Bruder vor 10 Jahren sein Haus unentgeltlich überschrieben und das Nutzniessungsrecht behalten. Nun muss er ins Altersheim. Mein Bruder möchte das Haus verkaufen, mein Vater ist dagegen. Hat er diesbezüglich ein Vetorecht? Habe ich als zweiter Erbe ein Gewinnanteilsrecht, wenn mein Bruder das Haus verkauft?

Bei der Nutzniessung werden dem Berechtigten weitergehende Rechte eingeräumt als bei einem blossen Wohnrecht. So kann der Nutzniessungsberechtigte das Haus nicht nur selber benützen, sondern es insbesondere auch vermieten. Im Gegensatz zum Wohnrecht kann der Eigentümer das Nutzniessungsrecht des Berechtigten bei dessen Umzug ins Altersheim auch nicht gegen dessen Willen im Grundbuch löschen lassen.

Das Nutzniessungsrecht muss im Grundbuch eingetragen werden, damit es Gültigkeit hat. Ihr Bruder könnte als Eigentümer des Hauses dieses zwar theoretisch an einen Dritten verkaufen, in der Praxis wird er hiefür aber wohl kaum einen Kaufinteressenten finden. Denn das Nutzniessungsrecht Ihres Vaters hat gegenüber dem Eigentum des Käufers den Vorrang, d.h. jeder Käufer muss sich die im Grundbuch eingetragene Nutzniessung entgegenhalten lassen. Eine nutzniessungsbelastete Liegenschaft ist auf dem Markt daher kaum verkäuflich.

Falls Ihr Bruder das Haus zu Lebzeiten des Vaters dennoch verkaufen könnte, haben Sie (noch) keine Rechte am Verkaufserlös. Ein Gewinnanteilsrecht besteht grundsätzlich nur, wenn es vertraglich vereinbart wurde. Ihre (Erb-)Rechte entstehen erst mit dem Tod des Vaters. Dann hat Ihr Bruder den Schenkungsanteil an der Liegenschaft – bzw. bei vorzeitiger Veräusserung am Veräusserungserlös – im Rahmen der Erbteilung Ihnen gegenüber zur erbrechtlichen Ausgleichung zu bringen. Hat Ihr Vater Ihren Bruder von der Ausgleichspflicht befreit, so untersteht der Schenkungsanteil nur, aber immerhin, der Herabsetzung bei Pflichtteilsverletzung. Gemäss der – m.E. falschen und in der juristischen Lehre höchst umstrittenen – bundesgerichtlichen Rechtsprechung gilt der kapitalisierte Wert der Nutzniessung dabei als Gegenleistung des Erwerbers und kann von Ihrem Bruder bei der Berechnung des Schenkungsanteils in Abzug gebracht werden.

Da Ihr Bruder jetzt verkaufen will, empfehle ich Ihnen, die Gelegenheit «beim Schopf» zu packen und zu versuchen, dass Sie zusammen mit Ihrem Bruder und Ihrem Vater eine gemeinsame vertragliche Lösung finden. Die könnte z.B. darin bestehen, dass Ihr Vater auf sein Nutzniessungsrecht verzichtet, Ihr Bruder das Haus verkaufen kann und den Verkaufserlös hälftig mit Ihnen teilt und Sie und Ihr Bruder sich gegenüber Ihrem Vater zu einer Unterhaltsrente verpflichten (dies im Gegenzug zum Verzicht auf das Nutzniessungsrecht). Damit wäre die Gleichbehandlung von Ihnen und Ihrem Bruder gewährleistet.

Kurzantwort
Die Nutzniessung hat gegenüber dem Eigentum den Vorrang. Ist eine Liegenschaft an einen Nachkommen ganz oder teilweise durch Schenkung übertragen worden, so unterliegt diese Schenkung bei der Erbteilung der Ausgleichung bzw. bei Befreiung von der Ausgleichspflicht der Herabsetzung bei Pflichtteilsverletzung.

(lic. iur. Marcel Vetsch, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt SAV Erbrecht und Fachanwalt SAV Familienrecht, Luzerner Zeitung)