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Testament: Können wir unserer Tochter die Wohnung zum Katasterwert vermachen?

Wir besitzen eine 4 ½ – Zimmer-Eigentumswohnung mit Katasterwert Fr. 482’400.–. Wir möchten unsere Wohnung mit Testament unserer Tochter zum Katasterwert vermachen. Ist dies rechtlich gegenüber ihrem Bruder in Ordnung, wenn sie ihm nach unserem Ableben Fr. 241’200.00 überweisen muss? Oder gilt erbrechtlich zwingend ein anderer Wert?

F.L.

Sie setzen bei Ihrer Frage offenbar voraus, dass nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils der überlebende Elternteil ohnehin in der Wohnung bleiben kann. Im Erbrecht ist zwar vorgesehen, dass das eheliche Haus oder die Wohnung dem überlebenden Elternteil in der Erbteilung zugeteilt wird, sofern die Eltern verheiratet waren.

Diese Zuteilung erfolgt aber „in Anrechnung“ an den Erbanteil. Dies hat zur Folge, dass das Verbleiben des überlebenden Elternteils in der Wohnung dann ein finanzielles Problem werden kann, wenn die Wohnung den grössten Vermögensbestandteil in der Erbschaft bildet und nur wenig Barmittel vorhanden sind, um die Kinder für deren Erbanteil auszahlen zu können. Dieses Problem kann mit einem Ehe- und/oder Erbvertrag entschärft werden, mit welchem sich die Eltern gegenseitig begünstigen.

Verkehrswert in der Erbteilung

Nach dem Tod des zweitversterbenden Elternteils können Sie grundsätzlich, wie von Ihnen beabsichtigt, mit Testament oder Erbvertrag die Wohnung der Tochter zum Katasterwert „vermachen“. Dabei ist aber zu beachten, dass dieser Wert in der Erbteilung nicht massgebend ist. Vermögenswerte des Nachlasses sind in der Erbteilung zum Verkehrswert anzurechnen.

Teilungsvorschrift

Wenn Sie nun im Testament die Wohnung der Tochter zum Katasterwert „vermachen“, so stellt dies erbrechtlich gesehen zunächst eine Teilungsvorschrift dar, indem Sie der Tochter einen Vermögensgegenstand des Nachlasses zuweisen. Der Sohn muss sich eine blosse Teilungsvorschrift in jedem Fall gefallen lassen. Zu beurteilen bleibt aber, zu welchem Anrechnungswert eine solche Zuteilung rechtsgültig erfolgen kann.

Erbrechtliche Begünstigung

Darüber hinaus bedeutet diese testamentarische Anordnung nämlich auch, dass Sie Ihre Tochter erbrechtlich dann begünstigen, wenn der Verkehrswert der Wohnung zum Zeitpunkt der Erbteilung höher ist als der Katasterwert. Der Sohn muss sich eine solche wertmässige Begünstigung der Tochter nur dann gefallen lassen, wenn sein erbrechtlicher Pflichtteil nicht verletzt wird. Ist die Differenz zwischen dem Verkehrswert und dem Katasterwert gross und sind im Nachlass keine weiteren namhaften Vermögensteile vorhanden, so ist der Pflichtteil des Sohnes verletzt.

Pflichtteil

Der pflichtteilsgeschützte Teil, d.h. derjenige Teil der Erbschaft, welcher den Erben durch Testament oder Erbvertrag nicht entzogen werden darf, beträgt – bei zwei Kindern wie in Ihrem Fall – für Ihren Sohn 3/8 des Nachlasses beim Tod des zweitversterbenden Elternteils. Wird sein Pflichtteil verletzt, so kann der Sohn das Testament vor Gericht anfechten.

Die Tochter kann die Wohnung in der Erbteilung in jedem Fall, d.h. auch bei Pflichtteilsverletzung, für sich beanspruchen. Sie muss sich aber bei Pflichtteilsverletzung einen höheren Betrag als den Katasterwert anrechnen lassen, bis der Pflichtteil des Bruders wertmässig hergestellt ist.

Erbvertrag oder Testament

Wenn Sie sicher gehen wollen, dass die Tochter die Wohnung in der Erbteilung zum Katasterwert bekommt, so müssen Sie einen Erbvertrag unter Einbezug von beiden Kindern und beiden Eltern abschliessen. D.h. der Sohn müsste damit einverstanden sein und ein Testament reicht hiefür nicht aus. Wenn Sie bloss anordnen möchten, dass die Tochter die Wohnung erhält, Sie aber die Bestimmung des massgebenden Werts den Kindern in der Erbteilung überlassen wollen, so reicht eine Teilungsvorschrift aus, welche Sie auch in einem Testament vorsehen können.

Ehe- und/oder Erbverträge müssen von einem Notar öffentlich beurkundet, Testamente können auch eigenhändig von Anfang bis zum Schluss verfasst und müssen in jedem Fall mit der Unterschrift versehen werden.

Kurzantwort
Die Zuweisung der Wohnung in der Erbteilung zum Katasterwert an eine Erbin stellt eine Teilungsvorschrift dar und bedeutet in der Regel darüber hinaus auch wertmässig eine Begünstigung, welche unter Umständen sogar den Pflichtteil anderer Erben verletzen kann.

(lic. iur. Marcel Vetsch, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt SAV Erbrecht und Fachanwalt SAV Familienrecht, Luzerner Zeitung)