Überspringen zu Hauptinhalt

Vereinbarkeit eines nachträglichen Testaments mit früherem Ehe- und Erbvertrag

Mein verstorbener Mann und ich haben vor Jahren einen Ehe- und Erbvertrag abgeschlossen. Nun möchte ich aber eine andere Person als im Erbvertrag vorgesehen begünstigen. Ich habe ein handschriftliches Testament gemacht. Nun teilte mir das Teilungsamt mit, dass mein Testament ungültig sei und das Erbe so verteilt werde, wie im Erbvertrag festgelegt. Trifft dies zu?

Durch einen Erbvertrag kann sich der Erblasser einem anderen gegenüber verpflichten, ihm oder einem Dritten seine Erbschaft oder ein Vermächtnis zu hinterlassen. Nachträgliche Testamente oder Schenkungen, die mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, sind nicht ungültig, sondern unterliegen lediglich der Anfechtung. Neben vertraglichen Bestimmungen, die für beide Parteien bindend sind, kann ein Erbvertrag aber auch einseitige testamentarische Bestimmungen enthalten, die von beiden Vertragsparteien selbständig jederzeit mittels Testament frei widerrufen werden können. Spätere Testamente können demnach nicht angefochten werden, wenn der streitige Teil des Erbvertrags keine vertraglichen, sondern einseitige testamentarische Bestimmungen enthält. Für die Beantwortung der Frage, ob es sich um eine vertragsmässige, bindende oder um eine einseitige, widerrufliche Bestimmung im Erbvertrag handelt, ist der wirkliche Wille der Vertragsparteien massgebend. Kann dieser Wille nicht ermittelt werden und gibt der Wortlaut der Vertragsklausel keinen genauen Aufschluss, muss die Frage aufgrund der Interessenlage der Vertragsparteien beantwortet werden. Vermutungsweise kann man beispielsweise die Begünstigung der eigenen Verwandten widerrufen bzw. testamentarisch abändern, aber nicht die Begünstigung der Verwandten des Ehepartners.

Weiter besteht die Möglichkeit, einen Erbvertrag einseitig durch ein Testament aufzuheben, wenn eine erbvertraglich begünstige Person nach Vertragsabschluss eine schwerwiegende Verfehlung gegenüber dem Erblasser begangen hat, welche einen Enterbungsgrund im Sinne des Gesetzes darstellt.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Ihr Testament grundsätzlich gültig ist. Sofern Sie jedoch in Ihrem Testament Bestimmungen des Erbvertrags widerrufen oder abgeändert haben, welche für Sie und Ihren Mann bindend sind, unterliegt Ihr Testament der Anfechtung. Erbvertraglich begünstigte Personen könnten demnach Ihr Testament nach Ihrem Tod mittels Klage anfechten. Erfolgt innert der gesetzlich vorgesehenen einjährigen Frist keine Anfechtung, entfaltet Ihr Testament trotz allfälliger Unvereinbarkeit mit dem Erbvertrag volle Wirkung. Um feststellen zu können, ob Ihr Testament anfechtbar ist, empfiehlt es sich, dieses von einer Fachperson auf die Vereinbarkeit mit dem Erbvertrag überprüfen zu lassen. Sofern ein Erbe oder Bedachter nach Vertragsabschluss Ihnen gegenüber eine schwerwiegende Verfehlung begangen hat, welche einen Enterbungsgrund darstellt, können Sie den Erbvertrag ebenfalls gültig mittels Testament einseitig aufheben.

Das Teilungsamt ist in jedem Fall verpflichtet, sämtliche Testamente zur Hinterlegung entgegenzunehmen. Es ist dann später im Todesfall Sache der betroffenen bzw. übergangenen Personen, ungültige Testamente aktiv anzufechten.

Kurzantwort:

Ein Erbvertrag kann sowohl vertraglich bindende als auch frei widerrufliche Bestimmungen enthalten. Letztere können durch Testament jederzeit einseitig geändert werden. Bei nachträglicher Änderung von vertraglich bindenden Bestimmungen des Erbvertrags durch Testament unterliegt dieses der Anfechtung. Wird das Testament innert der gesetzlich vorgesehenen Jahresfrist nicht angefochten, so ist es trotz allfälliger Unvereinbarkeit mit dem Erbvertrag gültig.

(lic. iur. Marcel Vetsch, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt SAV Erbrecht und Fachanwalt SAV Familienrecht, Luzerner Zeitung)