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Darf ein Erbe alleine für die gesamte Erbengemeinschaft handeln?

Wir haben seit neun Jahren eine Erbengemeinschaft bestehend aus vier Geschwistern. Das Erbe besteht aus dem Elternhaus, in welchem sich drei Wohnungen und zwei Geschäftslokale befinden. Bis anhin war alles vermietet. Nun hat mein Bruder (Mieter von einem der beiden Geschäftslokale) dem Mieter des anderen Geschäftslokals gekündigt, weil er dieses für sich beanspruchen will. Jetzt hat er für dieses Lokal Umbaupläne und bereits mit der Renovation begonnen. Wer ist verantwortlich für den fehlenden Zins, der jetzt nicht bezahlt wird? Darf ein Mitglied aus der Erbengemeinschaft ohne Rücksprache mit den andern so handeln? Habe ich Möglichkeiten, mich zu wehren, wenn mein Bruder meine Argumente nicht wahrnimmt?

J.K. in F.

Ich gehe zunächst kurz allgemein auf das Handeln der Erben in einer Erbengemeinschaft ein.

Grundsatz des gemeinsamen Handelns in einer Erbengemeinschaft

Als Erbengemeinschaft halten Sie und Ihre Geschwister gemeinsam sämtliche Rechte und Pflichten der Erbschaft. Die Erbengemeinschaft muss gemeinsam und einstimmig handeln. Das bedeutet, dass Rechtsgeschäfte, aber auch jedes faktische Handeln, welches die Erbschaft betrifft, eine Einigung sämtlicher Erben erfordert. Von diesem Prinzip der Einstimmigkeit kann grundsätzlich bloss in dringlichen Fällen eine Ausnahme gemacht werden.

Exklusive Nutzung der Nachlassgegenstände durch einen einzigen Erben

Sämtliche Mitglieder der Erbengemeinschaft sind, solange der Nachlass nicht geteilt ist, Gesamteigentümer der Erbschaftsgegenstände. Sie und Ihre Geschwister müssen und dürfen deshalb nur gemeinsam über die Liegenschaft entscheiden. Ihr Bruder kann somit nicht alleine rechtsgültig Mietverträge der Erbengemeinschaft auflösen, wenn er nicht die Zustimmung sämtlicher Erben hat. Entscheidend ist, ob Sie und Ihre Geschwister die Kündigung gemeinsam ausgesprochen oder dieser zugestimmt haben. Ohne die Zustimmung der gesamten Erbengemeinschaft ist die Kündigung nicht gültig.

Wenn nun die Kündigung aber bereits vollzogen ist und Ihr Bruder weiterhin mehrere der zum Nachlass gehörenden Räume exklusiv nutzt, ist er verpflichtet, dem Nachlass eine Entschädigung für diese alleinige Nutzung zu bezahlen. Sie können von Ihrem Bruder verlangen, dass er eine Entschädigung für die Nutzung sämtlicher Räume bezahlt, welche er alleine gebraucht. Wenn Sie mit Ihrem Bruder derzeit keine Einigung finden, könnte dieser Betrag zwar auch erst bei der Teilung der Erbschaft angerechnet werden. Zu beachten gilt aber, dass der Anspruch auf Bezahlung einer Entschädigung innert 5 Jahren verjährt und Sie deshalb Beträge nicht mehr einfordern können, welche zeitlich länger zurück liegen. Da Erbteilungen je nach (Un-)Einigkeit der Erben erfahrungsgemäss lange Zeit dauern können, ist ein Zuwarten mit der Entschädigungsforderung wegen der drohenden Verjährung nicht zu empfehlen und ein rasches Handeln angezeigt.

Mögliches Vorgehen bei Uneinigkeit unter den Erben

Gelingt es den Erben nicht, eine Einigung zu finden, besteht die Möglichkeit, einen Erbenvertreter einsetzen zu lassen. Dieser wird ermächtigt, an der Stelle der Erben und auch ohne die Zustimmung sämtlicher Erben für die Erbengemeinschaft zu handeln. Als Erbenvertreter kann jede handlungsfähige Person ernannt werden. Jeder Erbe kann bei der zuständigen Behörde am letzten Wohnsitz des Erblassers ein Begehren um Einsetzung eines Erbenvertreters stellen. Sie können dabei beantragen, dass eine bestimmte Person als Erbenvertreter eingesetzt wird; es kann aber auch ein allgemeiner Antrag auf Einsetzung eines Erbenvertreters gestellt werden.

Um weitere Uneinigkeiten gänzlich auszuschliessen, besteht auch die Möglichkeit, dass die Erbengemeinschaft aufgelöst und die Erbschaft geteilt wird. Jeder Erbe kann jederzeit die Teilung der Erbschaft verlangen. Falls Sie mit Ihren Geschwistern keine Einigung über die Teilung finden, müssten Sie für die Durchsetzung Ihres Teilungsanspruches das Gericht anrufen. Für die Erbteilungsklage sind das Gericht am letzten Wohnsitz des Erblassers bzw. für das vorgängige Schlichtungsverfahren die Schlichtungsbehörde zuständig.

Kurzantwort
Grundsätzlich können die Mitglieder einer Erbengemeinschaft nur gemeinsam und einstimmig handeln. Benutzt ein Erbe einen Teil der Nachlassobjekte ausschliesslich, so ist er verpflichtet, den Miterben eine Entschädigung zu entrichten. Sind die Erben sich nicht einig, kann ein Erbenvertreter eingesetzt oder die Auflösung der Erbengemeinschaft durch Erbteilungsklage beantragt werden.

(lic. iur. Marcel Vetsch, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt SAV Erbrecht und Fachanwalt SAV Familienrecht, Luzerner Zeitung)